Auswirkungen alternativer Arbeitszeitmodelle im Krankenhaus
Hintergrund
Auf Grund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des novellierten Arbeitszeitgesetzes ist eine veränderte Arbeitszeitorganisation in deutschen Krankenhäusern erforderlich. Vor diesem Hintergrund wurde auf zwei Arbeitszeitgipfeln des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vereinbart, neue Arbeitszeitkonzepte zu entwickeln und zu bewerten. Das vorliegende Forschungsprojekt untersucht die Ausgestaltung, die Akzeptanz und die Folgen einer neuen Arbeitszeitorganisation im Krankenhaus.
Methode
Das Forschungsprojekt umfasste zwei Forschungsmodule: zum einen ein sog. Kalkulationsmodul zur Ausgestaltung einer neuen Arbeitszeitorganisation sowie zur Abschätzung der personellen und finanziellen Auswirkungen alternativer Arbeitszeitmodelle, zum anderen ein sog. Befragungsmodul, in dem ausgewählte Berufs- und Mitarbeitergruppen im Krankenhaus um die Bewertung einer veränderten Arbeitszeitorganisation gebeten wurden.
Die empirische Grundlage für das Kalkulationsmodul bildete eine typische Auswahl von 52 Krankenhäusern, etwa nach Größe, Trägerschaft, regionale Verteilung, Ausgangssituation etc. Das Befragungsmodul war als Repräsentativerhebung in (brutto) 400 Krankenhäusern angelegt. Einbezogen waren jeweils die Ärztliche, Pflegedienst- und Verwaltungsleitung, die Mitarbeitervertretung sowie zwei zufällig ausgewählte Ärzte.
Ergebnisse
Den Kern einer neuen Arbeitszeitorganisation im Krankenhaus bilden verlängerte Service- oder Betriebszeiten bzw. die Einführung zeitversetzter Spätdienste. Durch verlängerte Servicezeiten lässt sich die Arbeitszeit verkürzen, die Arbeitseffizienz erhöhen und die Auslastung des Krankenhausbetriebs verbessern.
Auf Grund der neuen rechtlichen Rahmenbedingungen erhöht sich gleichwohl der Personalbedarf in den meisten Krankenhäusern spürbar. Bei einer 38,5-/40-Stunden-Woche sind im Durchschnitt zusätzlich etwa 2-3 ärztliche Vollkräfte pro Fachabteilung erforderlich. Dasselbe gilt mit gewissen Einschränkungen auch für andere Berufsgruppen mit (bisherigem) Bereitschaftsdienst.
Für die Grundgesamtheit der Allgemeinkrankenhäuser in Deutschland ab 100 Betten wären gemäß neuem Arbeitszeitrecht und neuer Arbeitszeitorganisation bundesweit 18.700 ärztliche Vollkräfte zusätzlich erforderlich. Hinzu kommen 1.600 Ärzte für die kleinen Allgemeinkrankenhäuser unter 100 Betten und die sonstigen Krankenhäuser (v.a. Psychiatrien). In der Summe ergibt sich somit ein Mehrbedarf von 20.300 Vollkräften im Ärztlichen Dienst der deutschen Krankenhäuser.
Für die OP- und Anästhesiepfleger würde sich ein Mehrbedarf von 7.900 Vollkräften ergeben. Für die MTA im Labor und in der Radiologie wären insgesamt 3.000 zusätzliche Vollkräfte erforderlich.
Gemäß § 6 Abs. 5 BPflV stehen den Krankenhäusern bis zum Jahre 2009 zusätzlich ca. 700 Mio. Euro für arbeitszeitbedingte Personalkostensteigerungen zur Verfügung. Nach den Ergebnissen der Studie ist dieser Betrag - unter der Bedingung einer optimierten Arbeitszeitorganisation - in der Summe ausreichend, um den taxierten personellen bzw. finanziellen Mehrbedarf gemäß neuem Arbeitszeitrecht zu decken.
Wenn sie die freie Wahl hätten, würde gut die Hälfte aller Krankenhausärzte sich für eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von bis zu 48 Stunden entscheiden. Unter dieser Bedingung würde sich der personelle Mehrbedarf im Ärztlichen Dienst deutlich reduzieren. Der finanzielle Mehrbedarf bliebe wegen der verlängerten Arbeitszeit beim vorhandenen Personal jedoch in etwa konstant.
Nach Ansicht der Befragungsteilnehmer erfordert eine Veränderung der Arbeitszeitorganisation Optimierungen in der Aufbau- und Ablauforganisation der Krankenhäuser. Neben problematischen Aspekten, wie eine Kostensteigerung oder Schwierigkeiten bei der Personalakquisition, werden auch positive Auswirkungen einer veränderten Arbeitszeitorganisation gesehen, wie beispielsweise optimierte Betriebszeiten oder eine bessere Auslastung von Geräten und Instituten. Hinsichtlich der möglichen Folgen für die Patienten- und Mitarbeiterorientierung herrscht dagegen eine abwartende bis skeptische Haltung vor.
Fazit
Handlungsempfehlungen
Bei der Umsetzung des neuen Arbeitszeitrechts kommt den Tarifparteien eine Schlüsselrolle zu. Insbesondere sollten die im novellierten Arbeitszeitgesetz vorgesehenen Öffnungsklauseln hinsichtlich der Höchstarbeitszeiten genutzt werden. Im Sinne einer praktikablen und akzeptablen Organisation vor allem der Wochenenddienste erscheint in jedem Fall eine tägliche Höchstarbeitszeit von mindestens 12-13 Stunden angezeigt. Des Weiteren sollte das vorhandene Personal die Möglichkeit haben, die Arbeitszeit freiwillig auf durchschnittlich bis zu 48 Stunden pro Woche zu verlängern. Eine entsprechende Tarifvereinbarung ist dringendst erforderlich, weil andernfalls der personelle Mehrbedarf in deutschen Krankenhäusern kurz- bis mittelfristig nicht gedeckt werden kann.
Der Gesetzgeber sollte die vorgesehene Mittelaufstockung für arbeitszeitbedingte Personalkostensteigerungen gemäß § 6 Abs. 5 BPflV für die Jahre 2007-2009 vorziehen. Der Betrag von schätzungsweise etwa 700 Mio. Euro für arbeitszeitbedingte Personalsteigerungen sollte den Krankenhäusern also bereits im Jahre 2006 vollumfänglich zur Verfügung stehen. Denn bereits im Jahr 2006 werden die Krankenhäuser das neue Arbeitszeitrecht zur Gänze an-wenden müssen.
Die personellen Auswirkungen des neuen Arbeitszeitrechts sind nicht ausschließlich mit finanziellen und tarifvertraglichen Mitteln zu regeln. Darüber hinaus sind seitens der Politik bzw. der Selbstverwaltung weitere Anstrengungen notwendig, welche auf die Bereitstellung bzw. Qualifizierung von zusätzlichem Personal zielen (v.a. Schaffung entsprechender Aus- und Weiterbildungskapazitäten, Programme für Wiedereinsteiger in den Beruf). Dieses Personal dürfte in jedem Fall benötigt werden, selbst wenn sich relevante Anteile des heutigen Personals für eine 48-Stunden-Woche entscheiden.
Projektleitung
Leiter Geschäftsbereich Forschung